Sonntag, 10. Juni 2018
Freitag, 8. Juni 2018
Unendliche Weiten - BikeByBit 2018, Teil 6
Sonntag,
27. Mai bis Dienstag, 29. Mai:
Die nächste große Stadt auf unserer Route ist Chabarowsk, vier Tagesetappen
entfernt. Wir beschließen, die Strecke in drei Tagen zu schaffen und damit noch
einen Reservetag für das Handling der Motorräder zu gewinnen. Das bedeutet, einmal
12 und zweimal 10,5 Stunden Landstraße. Die ziehen sich! Die Straße ist in sehr
gutem Zustand, die Landschaft nicht besonders abwechslungsreich.
Ortsdurchfahrten gibt es keine, selbst die Baustellendichte ist gering. Dafür
sind die Temperaturen hoch, es ist teilweise zermürbend. Der Hintern schmerzt
und insbesondere das Ziehen in der Schulter wird immer unangenehmer. Schuld
daran ist vermutlich die ergonomisch ungünstige Armhaltung aufgrund der für das
Stehendfahren hochgestellten Lenker. Außerdem macht uns mein Vorderreifen
Sorgen. Die Stollen sind nahezu komplett abgefahren, an Ersatz ist hier nicht
zu denken. Bis Wladiwostok sind es noch knapp 3000 Kilometer! Um den Reifen zu
schonen, fahren wir nun auch noch mit reduzierter Geschwindigkeit.
Unser
erstes Nachtlager finden wir in der Siedlung Jerofei Pawlowitsch, sechs
Pistenkilometer abseits der Hauptroute, direkt am Bahnhof der Transsibirischen
Eisenbahn. Wir gönnen uns ein „Deluks“-Zimmer (eigenes Bad) in einer
Unterkunft für Eisenbahner und Straßenarbeiter. Zum Abendessen verweist man uns
an die Stolowaja, die Eisenbahnerkantine. Wir sind zunächst unsicher, dürfen
wir hier überhaupt rein? Aber wir werden wie selbstverständlich bedient, es
gibt Borschtsch, die schmackhaftesten Frikadellen nach Mamas und Nudeln mit
Soß‘. Es ist total urig, und wir sind mittendrin.
Wir
folgen weiterhin der Transsib, der Lebensader der Region, deren langsam durch
die Taiga rollenden Güterzüge immer wieder in unser Sichtfeld kommen. Auch
unser nächstes Ziel, Belogorsk, verdankt seinen Aufschwung der Gründung der
Bahnstation Anfang des 20. Jahrhunderts. Als wir die Stadt nach Einbruch der
Dunkelheit erreichen, herrscht dort noch buntes Treiben. Es ist Jahrmarkt,
viele junge Menschen sind auf den Straßen. Die Atmosphäre ist sehr freundlich –
ganz im Gegensatz zu der Empfangsdame in unserem Hotel. So verdanken wir es auch
nicht ihr, sondern einem Anwohner, dass die Motorräder über Nacht auf einem
bewachten Gelände, und nicht auf der Straße, parken. Unserer Concierge war dies
zu organisieren wohl zu viel Aufwand gewesen …
…
ebenso wie die Zubereitung des Frühstücks am nächsten Morgen. Daher ziehen wir
zunächst mit leerem Magen von dannen. Es dauert noch zwei Stunden, bis wir den
ersten Rastplatz am Horizont ausmachen. Hier bekommen wir dann endlich unsere
allmorgendliche Kascha (Buchweizengrütze), Kaffee und mit Hähnchenhack gefüllte
Piroggen (da hat man den ganzen Tag was von).
Am
Abend erreichen wir dann endlich Chabarowsk. In die Stadt kommen wir über die 4
km lange Brücke über den Amur. Dessen Ausmaß ist so unglaublich, die Überfahrt dauert
eine schiere Ewigkeit. Später erzählt uns Google, dass der Amur bis zu 17.000
m³ Wasser pro Sekunde führt und immer wieder sein Flussbett ändert, mit geografischen
wie diplomatischen Auswirkungen auf den Grenzverlauf mit China.
Dank Mattis besonderem Status bei booking.com beziehen wir für zwei Tage das 5-Sterne-Hotel „Parus“; ein parkähnliches, ehemals herrschaftliches Anwesen direkt am Fluss. Standesgemäß speisen wir zu Abend in einem der besseren Restaurants im Stadtzentrum. Es gibt traditionelle russische Küche. Von der kokett in Tracht gekleideten Bedienung lassen wir uns überzeugen, dass extra Vorspeisen besonders gut zum Bier passen. Wir schließen Bekanntschaft mit dem am Nebentisch sitzenden Vizekonsul Japans und seiner Begleitung, sitzen irgendwann gemeinsam an einem Tisch und geben uns bierselig gegenseitig Leckereien aus; der Konsul Elchcarpaccio, wir den Wodka. Eine Stunde nach Ladenschluss verlassen wir das Lokal, die Mädels haben endlich Feierabend, und wir ziehen für einen Absacker an die Hotelbar.
Sonntag, 3. Juni 2018
Unendliche Weiten - BikeByBit 2018, Teil 5
Freitag,
25. Mai: Wir lassen
uns am Morgen viel Zeit, frühstücken ausgiebig und kommen erst spät los. Es
wird ein sehr entspannter Fahrtag. Am Nachmittag machen wir bereits aus der
Ferne ein malerisch am See gelegenes Dorf aus. Wir fahren von der Hauptstraße
ab, fragen uns zum Magasin durch, kaufen Brot, Käse und Gemüse und machen es
uns bei herrlichem Sommerwetter am Ufer gemütlich. Und da außerhalb
Deutschlands eine funktionierende Mobilfunkverbindung eine
Selbstverständlichkeit ist, buchen wir hier auch noch gleich online unser Hotel
in Tschita. Als wir dann abends gegen halb sieben im „Arkadia“ ankommen, sind unsere Zimmer noch nicht
fertig; daher überbrücken wir die Zeit bei leckerem Mors und Bier. Das
Hotel ist ganz außergewöhnlich, ein wahrer Irrgarten: rauf und runter, links
und rechts, ständig biegt man auf dem Weg zum Fahrstuhl falsch ab.
Samstag,
26. Mai: Heute
gestatten wir uns einen Ruhetag. Die Wäschevorräte müssen aufgefrischt werden,
und da das Waschbecken keinen Stöpsel hat, erledige ich dies in der
Duschkabine. Nach ein paar kleineren Arbeiten an den Motorrädern nutzen wir den
Rest des Tages für einen ausgiebigen Spaziergang durch das Zentrum.
Wir
hatten im letzten Jahr immer wieder die Mediatheken nach passenden Dokumentationen,
die uns auf die Reise einstimmen sollten, durchforstet. Beim ZDF wurden für dann
fündig: „10.000 Kilometer Russland – Unterwegs nach Sibirien“. Das war doch
exakt auf uns zugeschnitten. Und in Erinnerung war uns insbesondere die Folge
über Tschita geblieben. Die Stadt kam darin gar nicht gut weg: sie sei grau,
zerfallen, trist, entvölkert, so hieß es.
Wir
erleben die Stadt jedoch ganz anders: Ja, es gibt sie noch, die hässlichen
Plattenbauten aus sowjetischen Zeiten. Und auch die mehr als hundert Jahre
alten Holzhäuser. Aber eben auch viel Neues. Zwar trifft nicht alles unseren
Geschmack, das ändert aber nichts daran, dass die Stadt auf uns
ausgesprochen freundlich wirkt; sie ist voller
Leben, laut und bunt!
Unendliche Weiten - BikeByBit 2018, Teil 4
Donnerstag, 24. Mai: Wir stehen früh auf; der Weg bis zur nächsten größeren Stadt, Tschita, ist weit und wir wollen möglichst viel davon hinter uns bringen. Den Stopp am Magasin, bei dem wir uns mit Wasser und Keksen eindecken wollten, brechen wir kurz entschlossen ab, als wir bemerken, wie unser Einheimischer wild gestikulierend angerannt kommt. Nach ihm steht uns jetzt nicht der Sinn, wir schwingen uns auf die Motorräder und brausen über die sandigen Pisten des Dorfes davon. Noch ein letzter Blick auf den See, während Matti (oder eher sein knurrender Auspuff) mal wieder von den Dorfkötern verfolgt wird, und dann hat uns auch schon die Landstraße wieder.
Das Vergnügen währt allerdings nicht lange. Bereits nach wenigen Kilometern müssen wir unerwartet anhalten. Die Transalp hat plötzlich an Leistung verloren, ich komme kaum noch über 50 km/h. Wir rollen zurück zu einem kleinen Rastplatz und gehen auf Fehlersuche. Ich beginne mit den Zündkerzen. Die sehen beide gut aus, ich wechsle sie trotzdem. Eine kurze Probefahrt – keine Änderung. Matti hat in der Zwischenzeit im Reparaturhandbuch nachgelesen, er tippt auf eine defekte CDI-Einheit. Und davon habe ich keine dabei, was jetzt? Wir gehen unsere Optionen durch und beschließen, wenn auch langsam, erst mal weiter zu fahren. Hier bekommen wir ohnehin keine Ersatzteile, vielleicht schaffen wir die 140 km bis Ulan-Ude. Wenn nicht, werden wir die Transalp mit einem LKW transportieren lassen müssen. Wir rollen weiter, es wird nicht besser. Ich beschleunige und sofort fällt die Drehzahl wieder ab. Doch was ist das? Beim Zurückdrehen des Gasgriffs gibt es überhaupt keinen Anschlag. Ich probiere die Gegenrichtung, auch in die kann ich den Griff beliebig weit drehen. Das ist es also: das Griffgummi ist nicht mehr ganz neu und wohl ziemlich ausgeleiert. Ein wenig eingedrungenes Regenwasser hatte ausgereicht, und die Friktion zwischen Griff und Gummi war weg. Wir atmen auf; Abhilfe leistet etwas Gewebeband und schon geht’s weiter, als wäre nichts gewesen.
Die nächsten Stunden vergehen weitestgehend ereignislos. Wir rollen so vor uns hin, hin und wieder kommen wir durch ein Dorf, in dem die Zeit vor über hundert Jahren stehen geblieben zu sein scheint. Fasziniert betrachte ich die düsteren grauen, zum Teil bereits komplett verfallenen Holzhütten, jede mit ihrer eigenen kleinen, eingezäunten Ackerfläche. Die Brunnen stehen im Hof, ebenso die Toilettenhäuschen. Die Straßen sind nicht asphaltiert, Gehwege gibt es nicht. Menschen sehe ich selten, lebt hier überhaupt noch jemand? Ich versuche mir vorzustellen, wie beschwerlich das Leben hier wohl sein mag.
Ein wenig Abwechslung bieten die häufigen Baustellen, auf deren unbefestigtem Untergrund nochmal ein wenig Offroad-Feeling aufkommt. Es ist bereits halb neun, als wir am Rande des kleinen Dorfes Bada eine kurze Trinkpause einlegen. Routinemäßig werfe ich einen Blick auf die Kofferträger – und traue meinen Augen nicht. Der rechte Träger ist direkt vor der – nach dem letzten Bruch – neu angesetzten Verstrebung glatt durchgebrochen und wird nur noch durch den Koffer selbst gehalten. Das hält so sicher nicht mehr lange und muss dringend repariert werden. In der Hoffnung auf Hilfe rollen wir in Schrittgeschwindigkeit in den Ort. Wie immer sind die Straßen menschenleer, nur vor dem Magasin steht ein älterer Herr mit seiner Enkelin. Wir stoppen und ich zeige auf mein Problem. Ein kurzer Blick genügt, dann deutet er uns unumwunden, ihm zu folgen. Wir fahren zum Haus seiner Söhne. Die Männer beratschlagen nur einen Augenblick, und dann laufen auch schon Trennschleifer und Schweißgerät. Wir verteilen gerne unsere Haribo-Vorräte an die neugierige Kinderschar, erfahren nebenbei, dass im letzten Sommer 40 Grad plus, im Winter 47 Grad minus herrschten, knipsen noch ein Abschiedsfoto und sind nach 20 Minuten bereits wieder in der Spur. Wahnsinn! Im Dunkeln finden wir eine Truckerunterkunft direkt an der Landstraße, bekommen das letzte Zimmer und beschließen den Abend bei einem kühlen Bier.
Die nächsten Stunden vergehen weitestgehend ereignislos. Wir rollen so vor uns hin, hin und wieder kommen wir durch ein Dorf, in dem die Zeit vor über hundert Jahren stehen geblieben zu sein scheint. Fasziniert betrachte ich die düsteren grauen, zum Teil bereits komplett verfallenen Holzhütten, jede mit ihrer eigenen kleinen, eingezäunten Ackerfläche. Die Brunnen stehen im Hof, ebenso die Toilettenhäuschen. Die Straßen sind nicht asphaltiert, Gehwege gibt es nicht. Menschen sehe ich selten, lebt hier überhaupt noch jemand? Ich versuche mir vorzustellen, wie beschwerlich das Leben hier wohl sein mag.
Ein wenig Abwechslung bieten die häufigen Baustellen, auf deren unbefestigtem Untergrund nochmal ein wenig Offroad-Feeling aufkommt. Es ist bereits halb neun, als wir am Rande des kleinen Dorfes Bada eine kurze Trinkpause einlegen. Routinemäßig werfe ich einen Blick auf die Kofferträger – und traue meinen Augen nicht. Der rechte Träger ist direkt vor der – nach dem letzten Bruch – neu angesetzten Verstrebung glatt durchgebrochen und wird nur noch durch den Koffer selbst gehalten. Das hält so sicher nicht mehr lange und muss dringend repariert werden. In der Hoffnung auf Hilfe rollen wir in Schrittgeschwindigkeit in den Ort. Wie immer sind die Straßen menschenleer, nur vor dem Magasin steht ein älterer Herr mit seiner Enkelin. Wir stoppen und ich zeige auf mein Problem. Ein kurzer Blick genügt, dann deutet er uns unumwunden, ihm zu folgen. Wir fahren zum Haus seiner Söhne. Die Männer beratschlagen nur einen Augenblick, und dann laufen auch schon Trennschleifer und Schweißgerät. Wir verteilen gerne unsere Haribo-Vorräte an die neugierige Kinderschar, erfahren nebenbei, dass im letzten Sommer 40 Grad plus, im Winter 47 Grad minus herrschten, knipsen noch ein Abschiedsfoto und sind nach 20 Minuten bereits wieder in der Spur. Wahnsinn! Im Dunkeln finden wir eine Truckerunterkunft direkt an der Landstraße, bekommen das letzte Zimmer und beschließen den Abend bei einem kühlen Bier.
Unendliche Weiten - BikeByBit 2018, Teil 3
Mittwoch, 23. Mai: Ich
laboriere am Jetlag (bereits die dritte Nacht konnte ich nicht vor 4 Uhr
einschlafen), und an den Piroggen. Zum Frühstück gibt’s Instant-Kaffee und Sahnetorte.
Wir beladen die Motorräder und nehmen Kurs auf den Baikalsee. Die relativ kurze
Fahrt führt uns in das kleine Dorf Gremyachinsk am Ostufer des Sees. Wir mieten
uns in einer am Rande des Ortes frisch aus dem Boden gestampften Ferienanlage
ein, deren Zielgruppe eher chinesische Touristen als einheimische Durchschnittsverdiener
sind. Entsprechend ernüchternd ist der erste Eindruck. Wir spazieren ans
Seeufer, rufen uns die Superlative, die der See bietet, ins Gedächtnis und
finden unsere Fotomotive in dem ins Licht der untergehenden Sonne getauchten Ensemble
von dörflicher Idylle und eigentümlich schwarzem Seewasser. Auf dem Heimweg laufen wir unfreiwillig
drei Einheimischen, vom Leben gezeichnet und nicht mehr ganz nüchtern, über den
Weg. Wir fühlen uns nicht wohl und versuchen radebrechend, der Situation zu
entfliehen. Dies gelingt nicht, stattdessen lassen wir uns überreden, ins
Magasin zu gehen und Wodka, Speck und Brot zu kaufen. Wir dürfen einen kleinen
Schluck mittrinken - und dann gehen.
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