Donnerstag, 29. Mai 2025

Halb ertrunken, ganz unterwegs

Unsere Motorradreisen starten normalerweise mit einem klaren Ritual: Landung, Motorräder abholen - alles im Takt.

Dieses Jahr? Ganz anders. Aber irgendwie auch ganz großartig.

Zum einen kamen wir planmäßig erst ziemlich spät an. Zum anderen war Victoria Day - ein kanadischer Feiertag mit geschlossenen Läden, ruhigen Straßen und leider auch: ohne unsere Motorräder.

Und dann war da noch diese Getränkekarte. Icelandair serviert keine schnöde Bordverpflegung, sondern die wohl ambitionierteste Gin-Karte über den Wolken. Wir testeten sie – rein wissenschaftlich natürlich – mit Begeisterung. Nach "Icelandic Reykjavik Angelica" war aber klar: Heute bleiben die Helme zu.

Nicht schlimm, wir bezogen unsere Airbnb-Wohnung bei den Schweizern und gönnten uns ein Ankommbier beim Plausch mit Judit über Gott und die Welt, mithin hauptsächlich über Trump. Und holten die Mopeds erst am nächsten Morgen, bei strahlendem Sonnenschein, ab und bereiteten alles für die Abfahrt am nächsten Tag vor.

Nur: Bereits eine Woche vor Abflug war die Wettervorhersage für den ersten Fahrtag, eigentlich für die ganze Woche, miserabel. Und sie blieb es. Also passten wir unsere Route an – immer mit einem Auge auf dem Regenradar. Der Plan: dem Regen davonfahren. Die Realität: der Regen hatte das gleiche Ziel.

Unsere erste Etappe führte uns bis nach Ottawa. Ursprünglich über zwei Tage geplant, kürzten wir sie kurzerhand auf einen. Lieber einmal richtig nass, als zweimal halb. Dafür gönnten wir uns einen vollen Pausentag in Ottawa. Wir schlenderten durch die Innenstadt, besichtigten den Parlamentshügel, am Abend gab es Bratwurst, Sauerkraut und ein Helles.

Der nächste Tag zerstörte dann jede Illusion. Starkregen, Kälte, Wind, Gischt von unten, Sprühnebel von vorne. Die Strecke nach Québec wurde zur Nervenprobe. Alle landschaftlich schön gelegenen Zwischenziele, die wir ins Navi programmiert hatten, wurden kurzerhand gelöscht. Wir wollten die Stadt nur schnellstmöglich erreichen, mit Vollgas auf der Autobahn. 

Auch in Québec legten wir einen Pausentag ein; die Motorräder blieben stehen, die Regenjacken nicht. Aber hey - Kopfsteinpflaster glänzt besonders schön bei Regen. Wir bummelten durch die Altstadt, spazierten entlang der Zitadelle, Bier gab es auch.

Mit Québec im Rückspiegel endete dann auch die Regenzeit. Was eben noch 7 Grad und Dauerregen war, wurde plötzlich zu 32 Grad und wolkenlosem Himmel. Adieu Großstadt, Bonjour Landstraße: Sonne, Landschaft und die eine oder andere Kurve - was das Bikerherz so begehrt. 

Wir folgten dem Sankt-Lorenz-Strom ostwärts über Matane nach Gaspé; immer wieder direkt an der Küste, mit Blick auf den Atlantik, steile Klippen zur Linken und weite Wälder zur Rechten. Die Straße schlängelt sich durch kleine Fischerdörfer, vorbei an Leuchttürmen, Seevögeln und diesem besonderen, rauen Charme Ostkanadas.

Gestern führte uns unsere Route von Gaspé nach Grand-Anse. Luftlinie trennen die beiden Orte nur etwa 25 km. Doch dazwischen liegt der imposante Golf von Saint-Laurent, und es gibt keine direkte Verbindung. Statt einer kurzen Überfahrt mussten einmal komplett außen rum, rund 400 Kilometer und einen ganzen Fahrtag durch die halbe Gaspésie. Was nach Frust klingt, war in Wahrheit ein Geschenk: leere Straßen, dramatische Küstenlinien, kleine Orte, weite Blicke. Ein Umweg, der nicht kürzer, dafür schöner war.

Und dann stieß Matti per Zufall auf ein Ferienhaus in Grand-Anse - frisch eingerichtet, völlig neu im Angebot und sehr günstig. Wir haben in elf Jahren Motorradreise schon viel gesehen, aber das hier war etwas anderes: mit Abstand das Liebevollste und Geschmackvollste überhaupt. Ein echtes Juwel - gefunden im Vorbeifahren.