Montag, 23. Januar 2017

Nachbetrachtung

Es ist mittlerweile Oktober Dezember Januar*, und ich konnte endlich den miesen Schweinehund überwinden und mich meiner Aufgabe, den letzten Post dieser Etappe zu schreiben, widmen.

Unsere Berichte endeten bislang am Grenzübergang zu Usbekistan. Zu diesem Zeitpunkt wäre noch ca. ein Viertel der ursprünglich geplanten Gesamtstrecke zu fahren gewesen. Allerdings mussten wir unsere Reiseroute durch Usbekistan kurzfristig und ungeplant deutlich straffen. Zeit war noch genug, uns überkam jedoch die Sorge, wir könnten unterwegs irgendwo mit leeren Tanks stranden. Usbekistan verfügt über große Gas-, aber keine Ölvorkommen. Offensichtlich auch nicht sonderlich liquide, wird Öl kaum importiert, und Benzin ist im ganzen Land Mangelware. Die meisten Autos fahren daher mit Gas, und entsprechend gibt es fast ausschließlich Gastankstellen. Tankstellen für Benzin sind selten und bieten, wenn überhaupt geöffnet, in der Regel nur 80 Oktan-Plörre, welche wir uns nicht trauten, in die Tanks zu kippen. So blieben wir möglichst auf den Hauptverbindungsstraßen zwischen den großen Städten Buchara, Samarkand und der Hauptstadt Taschkent. Das sparte nicht nur einiges an Kilometern, auch war dort die Wahrscheinlichkeit, tanken zu können, noch am größten. Trotzdem blieb es uns am Ende nicht erspart, Benzin auf dem Schwarzmarkt zu kaufen. Was wir dort erworben hatten, wissen wir nicht so ganz genau. Versichert wurde uns beste Güte, "klar erkennbar" an der kräftigen grünen Farbe. Und stehen geblieben sind wir ja schließlich nicht.

Usbekistan kam uns anfangs auch ziemlich teuer vor. Essen, Trinken, Eintrittspreise - das getauschte Geld war irgendwie immer ruck-zuck alle. Wie wir uns später - ausgerechnet von einem Holländer (danke Hette 😉) - sagen lassen mussten, waren wir aber einfach nur nicht clever genug, vernünftig Geld umzutauschen. Und dabei waren wir so stolz gewesen, auf der Straße sogar den banküblichen Wechselkurs herausgeschlagen zu haben; eigentlich hätten wir stutzig werden müssen. So haben das gute Geschäft nur die anderen gemacht und doppelt so viele Euros im Tausch gegen ihre Soms von uns bekommen, wie eigentlich nötig gewesen wären. Dafür sind wir um eine Erfahrung reicher.

Wie in allen Stans wurden wir als westliche Touristen auch in Usbekistan eher mit Argwohn beäugt. Alle paar Kilometer gab es Kontrollposten, an denen wir immer herausgewinkt wurden, damit unsere Personalien mal wieder in irgendwelche Listen eingetragen werden konnten. Anfangs nervte das gewaltig, irgendwann aber haben wir resigniert und die Prozedur geduldig ertragen.

Insgesamt ist die Beschreibung "Polizeistaat" für Usbekistan sicher nicht unzutreffend. Misstrauen hegt man nicht nur gegenüber Fremden, auch der eigenen Bevölkerung wird meiner Einschätzung nach nicht sonderlich getraut. Die Polizei ist omnipräsent, ihr Trillerpfeifenkonzert begleitet einen allerorts. Man wird ständig darauf hingewiesen, dass man das, was man gerade tut, nicht tun darf. Besonders empfindlich ist man beim Fotografieren, von öffentlichen Gebäuden über Staatsbedienstete bis hin zur U-Bahn ist alles tabu. An öffentlichen Plätzen, bspw. vor den großen Sehenswürdigkeiten, wird um 22:00 Uhr das Licht ausgeschaltet und wenige Minuten später jeder mit lautem Tamtam verjagt. 

Die befürchtete Polizeiwillkür blieb uns glücklicherweise jedoch erspart. In anderen Reiseberichten war bspw. die Rede von fingierten Kontrollen, in denen man irgendeines Vergehens bezichtigt wurde, für das dann eine Geldstrafe in verhandelbarer Höhe zu zahlen gewesen war. Derartige Zwischenfälle gab es für uns nicht. Lediglich an der Grenze zu Kirgistan, bei der Ausreise aus Usbekistan, hätten wir wohl fast eine solche Erfahrung gemacht. Wir wurden gleich zu Beginn der Grenzprozedur aufgefordert, unsere Motorrad-Haftpflichtversicherung nachzuweisen. Tatsächlich hatten wir es versäumt, bei Einreise eine solche Police abzuschließen. Allerdings hat dies bei der Ausreise aus dem Land ja keine wirklichen Auswirkungen mehr. Insofern ging es nach meinem Empfinden nur darum, aus dem Fehlverhalten, das man uns (zwar zutreffenderweise) unterstellte, (trotzdem unrechtmäßig) Profit schlagen zu können. Und ich wollte in diesem Moment unter gar keinen Umständen unnütz Geld ausgeben. Dass die Grüne Karte in Usbekistan nicht gilt, erkannte der Grenzbeamte dabei leider relativ schnell. Dass er gleichzeitig aber des Englischen nicht wirklich mächtig war, merkte ich und machte es mir zunutze. Ich jubelte ihm im Brustton der Überzeugung unsere ADAC Worldwide Health Insurance unter. Das Schriftstück wurde herumgereicht, aber glücklicherweise wusste niemand "Health" zu übersetzen, und so kamen wir tatsächlich damit durch. Im Nachhinein weiß ich nicht, ob ich das nochmal tun würde. Ich bin heute froh, dass wir nicht erwischt worden sind.

Einmal auf kirgisischer Seite angekommen, war es bis zu unserem finalen Reiseziel nicht mehr weit. Die Grenzformalitäten waren unerwarteter-, aber erfreulicherweise nach nur einer halben Stunde erledigt - nicht einmal das Gepäck wurde inspiziert. Das Grundstück von MuzToo, wo wir unsere Motorräder bis zum nächsten Jahr untergestellt haben, war dann nur noch wenige Kilometer entfernt. Den Rest des Tages verbrachten wir damit, die Motorräder zu putzen, zu warten und winterfest zu machen.

Am nächsten Tag standen vor unserem Rückflug noch notwendige Zollformalitäten auf dem Programm. Diese erledigte Matthias dankenswerterweise alleine. Denn ich war nicht in der Lage, irgendetwas zu tun. In der Nacht zuvor hatte mich - wie sich später, zuhause, herausstellte - ein Norovirus ereilt. Ich weiß nicht, wann es mir zuletzt so mies gegangen war. Ich pendelte zwischen Bett und Toilette, wobei ich letztere "am liebsten" gleichzeitig auf ihr sitzend und vor ihr kniend benutzt hätte. Ich war zu erschöpft, um nur die im Zimmer verteilten Sachen in meine Reisetasche zu packen. Es war mir ein Rätsel, wie ich die 38-stündige Rückreise überstehen sollte.

Bis sich die nette junge Frau, die uns in unserem B&B bisher das Frühstück serviert und die Betten gemacht hatte, meiner annahm. Ungläubig nahm ich zur Kenntnis, dass sie "im richtigen Leben" eigentlich Ärztin sei. Sie spülte mir mit heißem Wasser den Magen, legte mir eine Infusion, besorgte Medizin und kümmerte sich bis zum späten Abend rührend um mich. Keine Ahnung, wie sie es angestellt hat. Aber eine Stunde, bevor das Taxi kam, um uns zum Flughafen zu bringen, war ich wieder halbwegs fit. Ich überstand die Flüge, ich überstand das zweifache Umsteigen, sogar ein komplettes und so auf einem Flughafen noch nie erlebtes Chaos in Bishkek, die Bahnfahrt. Zu Hause angekommen, reichte die Kraft gerade noch, um die Familie zu begrüßen; ab dann verbrachte ich die kommenden Tage wieder komplett im Bett.

Ich habe lange überlegt, welches Fazit aus dieser Reise - jetzt, mit einigem Abstand - zu ziehen ist. Ein Hochgefühl wie im letzten Jahr hatte sich zunächst nicht eingestellt. Warum, wusste ich, ehrlich gesagt, nicht. Denn las ich in unserem Blog oder dachte ich - speziell an den Iran - zurück, gab es dafür eigentlich keinen Grund. Vermutlich war das Ende in meiner Erinnerung einfach übermäßig präsent. Heute sind es aber wieder die schönen Erlebnisse, die mir einfallen, denke ich an BikeByBit 2016 zurück. Und das ist gut so.

Und - ich freue mich schon heute unbändig auf's nächste Bit.

PS: Der Text war eigentlich im Oktober fertig. Leider ist mir meine Kamera mit allen Bildern, die ich seit Mashhad aufgenommen hatte, in Deutschland gestohlen worden. Und ohne Bilder wollte ich zunächst nicht posten. Matthias' letzte Monate waren aber auch sehr ereignisreich, daher haben wir es einfach noch nicht geschafft, eine Auswahl seiner Bilder hier einzufügen. Das holen wir aber nach.

PPS: Plötzlich sind auf meiner Festplatte die verloren geglaubten Bilder wieder aufgetaucht. Offensichtlich war ich doch so gescheit gewesen, eine Datensicherung vorzunehmen.



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