Mittwoch, 8. Juni 2016

Der frühe Vogel

Wir haben unseren Biorhythmus umgestellt. Nachdem Matthias ja bereits über die hiesigen Temperaturen berichtet hatte, muss jemand in der Zwischenzeit nochmal eine Kohle draufgelegt haben, wir erreichen nunmehr Temperaturen von weit über 40 Grad. Insofern hielten wir es für eine gute Idee, nicht erst nach 11 Uhr zu unseren Besichtigungstouren aufzubrechen, wofür wir ohnehin bereits mehrfach belächelt wurden, oder die nächste Etappe in Angriff zu nehmen. Für jedes Grad, das es heißer als am Vortag werden soll, stehen wir jetzt eine halbe Stunde früher auf, erledigen die Aufgaben des Tages und halten es dann von Mittag bis frühen Abend wie die Einheimischen - das heißt, wir halten Mittagsschlaf.

Mittlerweile haben wir den Iran fast komplett durchkreuzt; nach Isfahan haben wir unser Lager zunächst für drei Tage in Shiras, danach drei weitere Tage in Yazd aufgeschlagen. Im Moment sind wir in Mashhad, bevor wir heute Abend, wenn die Hitze etwas nachgelassen hat, zur Grenze und morgen dann nach Turkmenistan (aus)reisen.

Alle Orte, die wir in der letzten Woche sehen durften, waren einzigartig; Shiras mit der Freitagsmoschee Schah Tscheragh, der Zitadelle oder den persischen Gärten, die altpersische Residenzstadt Persepolis, Yazd mit seiner Altstadt, den Windtürmen oder dem zoroastrischen Feuertempel, die Wüstenstadt Kharanagh. Ein besonders beeindruckendes und ein letztes Highlight bot uns der Iran mit dem Imam-Reza-Schrein in Mashhad. Der Komplex nimmt im Zentrum von Mashhad ein Areal von einem Kilometer Durchmesser ein und ist für Schiiten der heiligste Ort im Iran. Wir haben den Schrein gestern Abend zur Gebetszeit besucht und waren überwältigt von der schieren Größe und der Menge an Gläubigen, die sich dort, teilweise komplett entrückt, zum Gebet eingefunden hatten.

Die Religiösität scheint aber sehr unterschiedlich ausgeprägt zu sein. Viele sind sehr traditionell und in der Ausübung ihrer Religion bzw. der Einhaltung von Regeln außerordentlich diszipliniert. Deutlich wird dies zunächst bei einem Blick auf die Kleidung. Der schwarze Chador ist aus dem Stadtbild nicht wegzudenken und wird bereits von sehr jungen Mädchen getragen. Gebetet wird regelmäßig und auf die Einhaltung koranischer Direktiven geachtet. Hierfür ist ein gehöriges Maß an Selbstdisziplin erforderlich. Heute bspw. hat der Ramadan, der islamische Fastenmonat, begonnen. Muslimen ist in der Zeit von Sonnenauf- bis Sonnenuntergang das Essen und Trinken verboten, bei den erwähnten Temperaturen von über 40 Grad kein Zuckerschlecken. Die Fastenpflicht gilt übrigens für Jungs ab 15, für Mädchen bereits ab 9 Jahren!

Andere gehen mit ihrer Religion eher locker um. Auch dies wird zunächst offensichtlich in der Art, sich zu kleiden. Bevorzugt wird ein westlicher Kleidungsstil, wenngleich das Kopftuch generell Pflicht ist und von allen als solche akzeptiert wird. Die Moschee wird selten besucht und das Gebet fällt auch eher unregelmäßig aus. Bei Feiern, zu denen auch wir eingeladen waren, werden schon mal hausgemachte Getränke gereicht, für die 30 Stockhiebe zu Buche stehen. Frauen fahren verbotenerweise Fahrrad, wenn auch nicht zur Arbeit, um deswegen nicht entlassen zu werden.

Wir haben aber auch Menschen gesprochen, die die Ungleichbehandlung der Geschlechter oder die Bevormundung durch die Mullahs scharf kritisieren. Eine junge Frau und Universitätsabsolventin, die uns durch Isfahan begleitet hatte, erzählte uns im geschliffenen Englisch, dass für sie Bildung, insbesondere das Lernen von Fremdsprachen, und nicht etwa das Verlassen des Landes, der einzige Ausweg sei, um ihre Frustration zu betäuben. Übrigens, 60 Prozent aller Studierenden im Iran sind Frauen.

Überhaupt sind es die Menschen, die einen bleibenden tiefen Eindruck bei uns hinterlassen haben. Eine derart vorbehaltlose Herzlichkeit, Gastfreundlichkeit, Neugier, Hilfsbereitschaft, quer durch alle Gesellschaftsschichten und Altersgruppen, haben wir bislang nicht erlebt. Wir bedanken uns ganz besonders bei:

- Ebi für seine einzigartige und wunderbar chaotische Führung durch Qazvin,
- Saman, der uns mit seinem Sitarspiel verzückt und uns einen wundervollen Abend im Kreis seiner Familie beschert  hat,
- Elham, Afsaneh, Elmira, Saied und Mojtaba, die uns in ihrer Freizeit so viel von ihrer Heimatstadt Isfahan gezeigt haben,
- Ali, den professionellen Touristenführer, der uns seine Dienste in Persepolis kostenlos zur Verfügung gestellt hat,
- Mohammad aus Shiraz, der uns an zwei Nachmittagen nach seiner Arbeit durch die Stadt gescheucht hat und es hat sich nicht hat nehmen lassen, sämtliche Rechnungen zu begleichen,
- Majid und seiner ganzen Familie, die uns in Mashhad nicht nur eine Couch zur Verfügung gestellt, sondern uns zwei Tage lang bekocht und bemuttert haben. 

Apropos Küche. Die ist dann doch deutlich reichhaltiger als ursprünglich angenommen. Besonders lecker war die Yazder Spezialität "Dizzy", eine Art Gulaschsuppe, aus der der Kellner den Gulasch entnimmt und mit einem Stampfer zu Brei verarbeitet. Der Brei wird dann auf, die Suppe mit darin eingetunktem Brot gegessen. Sehr gut geschmeckt haben uns auch das Camel Stew und der traditionelle Eintopf Abgoosht. 

Was noch? Benzin ist erfreulich preiswert. Der staatlich festgelegte Preis beträgt 10.000 Rial; 30 Cent. Das Volltanken zweier Motorräder kostet damit gerade einmal 5 Euro. Andererseits ist das in Reiseführern angegebene Preisniveau, insbesondere in den für Touristen maßgeblichen Bereichen, längst überholt. Die Eintrittsgelder betragen für Ausländer standardmäßig 200.000 Rial (6 EUR) pro Sehenswürdigkeit und sind dreimal so hoch wie für Einheimische. Die Besucherzahlen sind in den letzten Jahren sprunghaft angestiegen. Haben vor fünf Jahren gerade einmal 20.000 Touristen den Iran besucht, waren es 2015 bereits 5 Millionen.

Der Iran ist ein sehr sicheres Land, den Verkehr vielleicht mal ausgenommen. Es gibt so gut wie keine Kriminalität, vor den Moscheen, in denen man die Schuhe ausziehen muss, kann man auch getrost seine ganzen Wertsachen liegen lassen. Da kommt nichts weg. 

Kontakt mit der Staatsmacht hatten wir so gut wie keinen, was uns immer wieder verwundert hat. So sind auf den Autobahnen Motorräder eigentlich verboten. Wir sind dort trotzdem gefahren. Die immer präsente Polizei hat uns an den Kontrollpunkten freundlich zugewinkt und Maut zahlen mussten wir nie. Lediglich in den letzten Tagen, als wir Mashhad und der turkmenischen Grenze immer näher kamen, wurden wir wiederholt gestoppt und kontrolliert. Besonders suspekt war eine Kontrolle, in der ein Beamter in Armeeuniform nicht nur unsere Pässe, sondern auch unsere iPhones konfiszierte und damit für eine halbe Stunde in einer Baracke verschwand. 

Morgen früh geht's nun nach Turkmenistan. Wir sind gespannt, was uns dort erwartet; wir haben wenig Gutes gehört. 

Iran, wir werden dich vermissen!



1 Kommentar:

  1. Sehr cool! Auch der Einblick in die Gesellschaft der sich euch dort hautnah präsentiert macht Lust, selbst einmal dieses Land zu besuchen!
    Sympathische Echse übrigens.

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