Freitag, 7. Juni 2024

Perspektivwechsel

Die zurückliegenden Fahrtage waren geprägt durch das angespannte Beobachten von Niederschlagsradaren und das Einarbeiten der daraus gewonnenen Erkenntnisse in unsere Routenplanung. Nachdem das beim Losfahren in Sudbury gleich mal spektakulär schief ging und wir in einem Gewitterschauer alarmmäßig auf dem Absatz kehrt machen mussten, hatten wir spontan Parry Sound auf unserer kleinen Navi-Karte ausgesucht, weil es schön gelegen zu sein schien. Zumindest mal am See. Und recht hatten wir. Es wurde ein ungewöhnlich kurzer Fahrtag, waren wir doch (natürlich wetterbedingt) recht spät losgefahren und kamen schon am frühen Nachmittag an. Nur kurz abgeladen und dann ging’s gleich los zur Erkundung des Ortes. Am See fanden wir eine sonnenbeschienene Restaurantterrasse, die natürlich sofort mit unserer Anwesenheit beglückt wurde. Als wir unsere regengeplagten Seelen von der Sonne aufheitern ließen, fielen uns ein paar Wasserflugzeuge auf, die quasi direkt neben uns standen. Irgendwas mit Airways war darauf geschrieben. In Vancouver hatten wir in den letzten Jahren immer wieder den vielen Wasserflugzeug hinterhergeschaut und jedes, aber auch wirklich jedes Mal gesagt „Das müssen wir irgendwann auch mal machen.“ Um es dann nicht zu machen.

Auf der Restaurantterrasse in Parry Sound aber war der Nachmittag noch jung und wir bestens gelaunt, so dass wir einfach mal nachfragten, ob da nicht vielleicht was geht. Und siehe da, wir konnten direkt los und selbst die Preise untertrafen unsere Erwartungen, wir konnten es kaum glauben. Vor dem Flug wurden wir noch gewogen und es gab eine kleine Sicherheitseinweisung. Die Platzverhältnisse im Flugzeug waren ungefähr so wie in einem Fiat Cinquecento aus den Siebzigern. Es war so eng, dass man nicht im eigentlichen Sinne einsteigen konnte, sondern sich eher hereinschlängeln, winden und quetschen musste. Kopf anstoßen inbegriffen. Auf dem Sitz angekommen, war es dann aber leidlich bequem, außer dass der Pilot so nah neben mir saß, dass ich aufpassen musste, nicht ständig seinen Arm oder sein Bein zu streifen. Dann kam der Start. Es wurde laut und das Flugzeug fing an, sich in Bewegung zu setzen. Je schneller es wurde, desto härter wurden die Schläge, die die Schwimmer auf den kleinen Wellen erzeugten. Das Wasser spritzte hoch, es war ein echtes Spektakel. Und plötzlich hoben wir ab und das Gespritze und Gewackel hörte mit einem Mal auf. In der Luft war dann erkennbar, warum die Gegend 30.000 Islands genannt wird. Inselchen, so weit das Auge reichte und wenn eine groß genug war, dass man ein Haus darauf bauen konnte, stand auch eins drauf. Bei Mini-Inseln musste sich die Hausgröße auch schon mal nach der zur Verfügung stehenden Grundfläche richten. Solche Cottages werden laut Aussage unseres Piloten regelmäßig zu Preisen jenseits von einer Million verkauft. Eine Heizung gibt’s dafür allerdings meist nicht. Der Flug ging (viel zu) schnell vorbei und die Landung verlief umgekehrt wie der Start. Gespritze und Gewackel, dann Ruhe. Nachdem wir es aus dem Flugzeug rausgeschafft hatten, bemächtigte sich ein breites Grinsen unserer Gesichter. Was für ein tolles Erlebnis! Das werden wir so schnell nicht vergessen.

Nach Burger und Bier auf einer weiteren sonnenbeschienen Terrasse liefen wir zurück zum Motel und stellten fest, dass sich zwei weitere Motorradreisende dort eingemietet hatten. Hadar und Asi, ursprünglich aus Israel stammend, hatten einige Jahre in Australien gelebt und dort kurzerhand die Zelte abgebrochen und alles verkauft, um eine mehrjährige Weltreise anzutreten, die ein paar Wochen vorher in Los Angeles gestartet war. Der Kontakt war schnell hergestellt und wir hatten uns viel zu erzählen. Andere Motelgäste kamen noch hinzu und der Abend wurde immer lebhafter. Es war das Motelpersonal, was dem internationalen Austausch mit Hinweis auf die Uhrzeit ein Ende setzen musste. Von hier aus nochmal eine Entschuldigung an all die anderen Gäste, die eigentlich schlafen wollten und das unseretwegen evtl. nicht konnten. Sorry! 

Donnerstag, 6. Juni 2024

Fremdgesteuert

Die Routenplanung der nächsten Tage wird entscheidend durch das Wetter bestimmt.


Wir kommen bei Regen in Schreiber an und fahren bei Regen am nächsten Morgen wieder ab. Erneut erklimmt das Thermometer nur mit Mühe einen zweistelligen Wert. Der Highway führt entgegen unserer Erwartung die meiste Zeit gar nicht direkt am Seeufer des Lake Superior entlang, so dass man nur ab und zu mal einen Blick auf die malerische Küste erhaschen kann. Spektakulär ist die Szenerie aber trotzdem: beidseits der Straße liegen dichte Nadelwälder, durchzogen von wilden Flüssen und türkisfarbenen Seen, über denen noch die Nebelschwaden liegen. Und plötzlich steht ein riesiger Elch am Wegesrand. 


Viele Orte gibt es nicht, bis zu unserem Tagesziel Sault St. Marie sind es knapp 500 km. Auf kanadischen Highways gilt zuallermeist ein Tempolimit von 90 km/h. Wir heften uns in sicherer Entfernung an einen der riesigen Pick-up-Trucks, der deutlich zu schnell unterwegs ist, und hoffen, dass eine etwaige Polizeikontrolle ihn erwischt und nicht uns. Große Distanzen zwischen den Orten korrelieren mit einer geringen Tankstellendichte, wie wir irgendwann feststellen. Wir müssen, um den Verbrauch zu minimieren, abreißen lassen und erreichen die nächste Tankstelle mit gerade mal noch einem verbliebenen Liter im Tank. Das Wetter ist zwischenzeitlich umgeschlagen, es liegen sonnige 30 Grad an. Wir genehmigen uns eine Kugel Eis, die so groß ist, dass sie den Kalorienbedarf des ganzen Tages deckt. 


Fürs Abendessen suchen wir uns das „Whisky-Barrel“ aus. Das verspricht Abwechslung, zum Craft Beer gibt’s mal keine Burger, sondern Poutine und Scotch Eggs. Während Matti bereits ins Hotel zurückgeht, zwingt mich meine Uhr noch zu etwas Bewegung. Ich gehe auf dem Boardwalk am Saint Marys River spazieren und erlebe einen beschaulichen Sonnenuntergang. 


Am nächsten Tag erreichen wir mit Lake Huron den nächsten der Great Lakes. Ein Abstecher auf die vorgelagerte und vielfach angepriesene Manitoulin Island entfällt, da sich dort eine prominente Gewitterzelle hartnäckig hält. Stattdessen steuern wir den nächsten größeren Ort Sudbury an, lassen uns aber von unserem Garmin ein „Adventurous Routing“ vorschlagen. Dies führt zwar zu einem Umweg von circa 100 km, dafür aber über kleine, einigermaßen kurvige und malerisch gelegene Sträßchen. Unterwegs retten wir eine sich auf dem Asphalt sonnende Schnappschildkröte vor dem sicheren Unfalltod und kommen gerade rechtzeitig vor dem einsetzenden Regen in unserem Motel an. Dies liegt an einem viel befahrenen Highway, aber das Restaurant in der Nachbarschaft hat sehr gute Bewertungen. 


Es ist wie verhext: das Restaurant nebenan hat geschlossen, der Pizzabringdienst muss herhalten. Wir schwanken zwischen der „Godfather“ und der „Let‘s eat Meat“, zur Bestimmung der adäquaten Pizzagröße (in Zoll) nehmen wir an unserem Hinterrädern Maß. 


Morgen wollen wir die Hälfte des Weges wieder zurückfahren und doch noch nach Manitoulin Island übersetzen. 








Montag, 3. Juni 2024

Neue Referenz

Das Plädoyer für die nördliche Route war so uneingeschränkt und leidenschaftlich gewesen, dass wir die Wetteraussichten (nördlich der Seen regnerische 12 Grad, südlich der Seen sonnige 30) ignoriert hatten und gen Norden aufgebrochen waren. Wir sind uns mittlerweile nicht mehr so sicher, ob dies die richtige Entscheidung war.

Die Wetteraussichten für heute waren schrecklich. Und da Matti zudem auch ein bisschen erkältet ist, beschlossen wir, nicht weiterzufahren und noch eine Nacht in Thunder Bay zu bleiben. Leider wurde uns ein Strich durch die Rechnung gemacht, unser Hotel war bis auf ein Zimmer mit einem Bett komplett ausgebucht (was nicht nur aufgrund der Erkältung nicht in Frage kam).

Insofern haben wir uns dann doch auf die Mopeds geschwungen und sind bis in den kleinen Ort Schreiber gefahren, während bei Temperaturen um die 10 Grad der halbe See über uns ausgegossen wurde. Landschaft war angesichts tiefhängender Wolkendecken, böiger Winde und des Starkregens nicht auszumachen. Wir hätten die Fahrt schon einen Ort früher beenden können, aber die Bewertungen für die hiesige Brauerei waren so gut; also hielten wir durch. Die Brauerei ist, wie sich vor Ort herausstellte, leider geschlossen. 😡

So liegen wir nun im Bett, die Heizung läuft auf Hochtouren und die Klamotten triefen den Boden voll. Matti beschrieb den heutigen Tag als die „neue Referenz für Motorradfahrwetterschrecklichkeit“.






Samstag, 1. Juni 2024

Familienbande

Im Zuge der Reisevorbereitungen hatte mich mein Bruder Shenja gefragt, ob wir in Minneapolis vorbeikommen werden und - falls ja - ich vorhabe, die dort ansässige Familie zu besuchen. 

Familie in Minneapolis? Darüber brauchte ich erstmal ein ausgiebiges Briefing. Shenja beschäftigt sich seit vielen Jahren mit unserer Familiengeschichte; er durchforstet uralte Kirchenverzeichnisse und Archive, studiert Briefe und Dokumente, entziffert alte Schriften und hat sogar ein Buch darüber geschrieben. 

Mein Großvater, Jahrgang 1911, hatte mit uns nie über seine Jugendjahre gesprochen. Wir wussten nur ganz allgemein, dass er und seine jüdische Familie von den Nationalsozialisten verfolgt wurden. Aber das ganze Ausmaß, insbesondere dass über 30 Familienmitglieder in den Ghettos und Konzentrationslagern von Riga und Theresienstadt umgebracht wurden, war mir bislang nicht bekannt. Auch dass es sein Onkel Sigmund und dessen Familie gerade noch rechtzeitig geschafft hatten, der Deportation und Ermordung durch die Nazis zu entkommen und nach Südafrika zu fliehen, erfuhr ich erst durch die Recherchen von Shenja. 

Sigmund ist nach dem Krieg von Südafrika in die Vereinigten Staaten übergesiedelt, und seine Nachfahren, Judy-Ann und Robin, leben mittlerweile in den Twin Cities Minneapolis/St. Paul; Shenja steht mit ihnen in losem Kontakt.

Nach einer kurzen Rücksprache mit Matti war klar, dass ich die beiden auf jeden Fall kennenlernen wollte und wir die Twin Cities in unsere Reiseplanung aufnehmen werden. Über Shenja wurde der E-Mail-Kontakt zu Judy-Ann hergestellt, die uns kurzerhand ein Zimmer in ihrem Keller anbot. Sie erzählte uns später, dass ihre Freundinnen sie gefragt hatten, ob sie noch ganz bei Trost sei, allein in ihrem Haus lebend, zwei wildfremde Männer bei sich aufzunehmen (es könne ja jeder kommen und mal eben behaupten, man sei miteinander verwandt. Bei Lichte betrachtet haben die Freundinnen damit auch nicht ganz unrecht. Aber es ist ja alles gut gegangen). 

Insofern reisten wir am Mittwoch Nachmittag bei ihr an, besorgten vorher noch schnell ein paare Biere, saßen bei strahlendem Sonnenschein und selbst-gebackener Pizza in Judy-Anns Garten, glichen unsere Lebensläufe im Schnelldurchlauf miteinander ab und gingen mit Aiden, ihrem Irish-Terrier, (unerlaubterweise) auf dem örtlichen Golfplatz Gassi. Die Chemie stimmte sofort, ich hatte das Gefühl, dass wir uns schon ewig kennen und nur eben mal etwas aus den Augen verloren haben. Ich glaube, Judy-Ann erging es ähnlich. 

Als sehr bewegend empfand ich den Austausch über die vielen kleinen Details in unserer Familiengeschichte. Judy-Ann gab mir ein Buch, das ihre Mutter über die Flucht, aber auch die Deportation der Großmutter geschrieben hatte, zum Lesen (wer Interesse hat, bitte kurze Nachricht in die Kommentare. Ich schicke dann gern eine PDF-Kopie zu). Und ich konnte meinerseits - dank Shenja - nicht nur den Familienstammbaum entästeln, sondern über das Schicksal der einzelnen Familienmitglieder berichten und sogar Fotos vorzeigen. 

Wir lagen so gut im Zeitplan, dass wir es uns leisten konnten, drei Tage in St. Paul zu bleiben. Am Donnerstag fand bei Judy-Ann der allmonatliche Buchklub statt. Den überbrückten wir mit einem Major-League-Baseballspiel zwischen den Minnesota Twins und den Kansas City Royals, das die Heimmannschaft, von uns leidenschaftlich bejubelt (und in völliger Unkenntnis der Regeln), gewann. Anschließend fuhren wir noch eine ausgedehnte Runde durch das Umland von Minneapolis, entlang der zahlreichen Seen (Minnesota trägt den Beinamen „Land der zehntausend Seen“), an deren Ufern die Schönen und Reichen mit ihren Häusern - nein, Villen - nein, Palästen - Schönheit und Reichtum eindrucksvoll zur Schau stellen. Unser ganzes schweres Gepäck hatten wir in St. Paul gelassen, und unsere treuen Gefährten wedelten ganz leichtfüßig durch die wenigen Kurven! Rechtzeitig zum allabendlichen Gassi über den Golfplatz waren wir wieder zurück. Und wurden darüber unterrichtet, dass wir das Haus während Judy-Anns Abwesenheit ohne den uns zugeteilten Schlüssel und bei sperrangelweit geöffneter Haustür verlassen hatten. 😬

Für den nächsten Tag hatten wir einen Besuch des Minneapolis Institute Of Art, eines der bedeutendsten Kunstmuseen der Stadt, eingeplant. Vorher gab es noch ein gemeinsames Frühstück, bei dem Matti betonte, wie sehr er doch selbst-gebackene Scones mag. Das Frühstück wurde augenblicklich eingestellt: „Ihr wollt Scones?“ Umgehend suchte Judy-Ann alle Zutaten zusammen und begann, Scones für uns zu backen. Dabei meinte Matti eigentlich die English Muffins, die sie schon am Vortag für uns gebacken hatte und von denen ich mir gerade eines schmieren wollte. Was mir angesichts der wenig später bereits im Backofen duftenden Scones unmissverständlich untersagt wurde (was zudem kein Problem sein konnte, da ich ja gerade erst erwähnt hatte, normalerweise ohnehin nicht zu frühstücken) 😉. 

Das Museum war den Besuch uneingeschränkt wert, wenngleich wir es in den zweieinhalb Stunden, nach denen der Aufmerksamkeitsvorrat erschöpft war, gerade einmal geschafft hatten, einen Teil der Ausstellung zu besichtigen. Anschließend liefen wir noch anderthalb Meilen durch das Mexikanische Viertel zum nächsten Weinhändler, um für das geplante Abendessen, zu dem auch Robin und seine Ehefrau kommen wollten, den Riesling zu besorgen. Uns fiel erst nach einigen Minuten auf, dass außer uns hier niemand zu Fuß unterwegs war. Aber es ist ja alles gut gegangen.

Zum Abendessen gab es Beer Butt Chicken, also über Bierdosen gestülpte und dank dieser Zubereitungsmethode unglaublich zarte Hähnchen, die wir bei angeregten Gesprächen über die Familie und das Reisen vertilgten.

Am Samstag mussten wir uns dann bereits verabschieden. Wir verließen das Haus als Letzte, Judy-Ann war bereits beim Treffen der Irish-Terrier-Besitzer. Dieses Mal vergewisserten wir uns mehrfach, dass die Haustür auch wirklich verschlossen war und machten uns - etwas traurig - auf den Weg. Aufgrund der vielfachen Empfehlungen nahmen wir - trotz der dort nicht gerade rosigen Wetteraussichten - die Route über das Nordufer des Lake Superior nach Toronto.

Die letzten drei Tage waren zweifellos ein Highlight dieser Reise. Ich hoffe, dass es irgendwann ein Wiedersehen gibt. An den gegenseitigen Einladungen mangelt es jedenfalls nicht. 


























Dienstag, 28. Mai 2024

Sind wir schon zu satt?

Nun galt es also den gefürchteten langweiligen Mittelteil in Angriff zu nehmen. Der wird hierzulande The Great Plains genannt, was wohl sowas wie die große Ebene bedeutet. Gleich zu Beginn lag noch ein kleiner Nationalpark namens „Badlands“ am Wegesrand. Es handelt sich dabei um eine Ansammlung von Hügeln, die entfernt an Kleckerburgen erinnern und aus unterschiedlich gefärbten Schichten bestehen. Ganz ähnlich wie im Bryce Canyon, nur etwas weniger spektakulär. Wir halten jedenfalls am ersten Aussichtspunkt und nehmen das genauso wahr. Andere würden möglicherweise Ah und Oh rufen, wir beließen es bei einem „ja ganz nett“ und einem Schulterzucken. Die Aussichtspunkte danach ließen wir dann allesamt aus. 

Das hat mich beim sich daran anschließenden Durchfahren der bereits erwähnten Ebene zum Nachdenken veranlasst. Sind wir schon zu satt? Ich meine, bei Langzeitreisenden, die wir immer mal wieder treffen, schon öfter so etwas wie einen Übersättigungseffekt beobachtet zu haben. Beim Durchreisen fremder Länder bieten sich einem so viele neue Eindrücke, dass man im Anschluss etwas Zeit benötigt, um sie auf sich wirken zu lassen und einzuordnen. Wenn man einfach immer weiter reist, kann das dementsprechend nicht richtig passieren und der Kanal ist irgendwann voll, so dass selbst großartigste Erlebnisse nicht mehr angemessen gewürdigt werden. So zumindest meine Theorie. Ich hatte immer gedacht, dass uns unser Etappenkonzept genau davor bewahrt, da es ja immer nur Reisehäppchen (na ja, vielleicht auch Happen) sind, die wir vorgesetzt bekommen. Möglicherweise ist das aber gar nicht der Fall, sondern die Eindrucksintensitätsdosis muss auch bei uns immer höher werden, damit uns auch mal wieder ein Ah oder Oh entfährt. Vielleicht waren aber auch die Badlands einfach nicht besonders toll.

Ich hatte den ganzen Rest des Tages Gelegenheit darüber zu sinnieren, fahrerisch war danach nämlich auf dem Interstate außer viel Seitenwind bei Dauergeschwindigkeit 130 km/h nichts mehr geboten. Abends dann ein Lichtblick, wir marschieren vom Motel aus mit Sandwiches ausgerüstet ans Ufer von dem bemerkenswert großen Fluss Missouri und lassen uns noch ein bisschen die Sonne ins Gesicht scheinen. 

Der nächste Tag verlief fahrerisch absolut gleich. Interstate, Wind, tanken, repeat. Am Abend diesmal aber Camping am See. Hört sich traumhaft an und das war es auch. Das schöne Wetter und später das unvermeidliche Lagerfeuer taten ihr übriges. Zu essen gab es im Supermarkt erworbenes Grillgut, das wir auf einem Upgrade unseres Benzinkochers, in Form einer neuen Grillplatte, zurechtbrutzelten. Herrlich!

Zum Thema Camping gibt es überhaupt Neues zu berichten, aber dazu später mehr. 






Sonntag, 26. Mai 2024

Ein Dilemma

Der Klimawandel ist traurige Realität. Behaupte ich hier einfach mal so. Unsere Gesprächspartner in der Bar in Sundance hätten dem sicher leidenschaftlich widersprochen, waren sie diesbezüglich doch mit alternativen Fakten ausgestattet und gingen sogar soweit, die fossilen Energieträger als the cleanest energy zu bezeichnen. Den Versuch dagegen anzureden, haben wir gar nicht erst unternommen. 

Während der Reise tauschen Mario und ich uns viel über alle möglichen Themen aus und wenn es auch unangenehm sein mag, bildet unser reisebedingter Ressourcenverbrauch da keine Ausnahme. In den Medien ist alles, was damit in Zusammenhang steht, ja ohnehin omnipräsent. Das war bei Beginn der Reise vor zehn Jahren noch nicht der Fall. War man damals noch sorgloser? Vermutlich schon. Mit unseren beiden Motorrädern verbrauchen wir zusammen ungefähr soviel Benzin wie ein großer Mittelklassewagen. Bei schnellen Autobahnetappen sogar mehr. Marios Motorrad ist so alt, dass es noch nicht mal einen Katalysator hat. Und die Flüge, um zu den Orten zu kommen, von denen unsere jeweiligen Reisen starten, wurden konzeptbedingt während all der Jahre auch immer länger. Dass wir, seit wir nach Nordamerika anreisen, immer Business buchen, macht den Fußabdruck nochmal zusätzlich größer. Für mich stellt das leider die einzig menschenwürdige Art zu fliegen dar, gleicht die Economy doch, wenn man ganz ehrlich ist, mehr einem Viehtransport.

Und genau da liegt das Dilemma. Mein Eindruck ist, dass die Menschen, die den Klimawandel ernst nehmen, durchaus gewillt sind, sich einzuschränken, aber eben nur da, wo es nicht allzu weh tut. Und beim Urlaub schon mal gar nicht. Den hat man sich schließlich verdient. Raus aus dem Alltag, rein in die schönsten Wochen des Jahres. Das gilt auch für uns. Diese Reise ist in ihrer Regelmäßigkeit fester Bestandteil unseres Lebens geworden und die Vorfreude begleitet uns das ganze Jahr über. Deswegen geht es trotz oder vielmehr mit dem Dilemma im Gepäck weiter, Klima hin oder her.

Nun aber Schluss mit dem Geschwurbel und zurück zum Reiseverlauf. Nach dem Abend in der Bar mit den netten Verschwörungstheoretikern hatten wir in unsere Route noch ein paar Schikanen durch die Black Hills eingebaut, um das Meilengeschruppe durch die Great Plains ein weiteres bisschen aufzuschieben. Zwischendurch hat es dann mal sehr ordentlich geschüttet, was wir aber ganz gelassen in einem Imbiss in einer disneylandartigen Stadt namens Deadwood bei Kaffee und Gebäck abgewartet haben.

Ganz am Ende des Tages musste der Vollständigkeit halber noch Mount Rushmore abgehakt werden. Das sind diese Präsidentenporträts, die einer in die Berge gepickert hat. Wenig überraschend war es ein typisches Touristenspektakel. Die Zufahrtsstraße ist gesäumt von unendlich vielen Restaurants und Souvenirshops. Wenn man die hinter sich gebracht hat, geht’s in ein Parkhaus (10$ pro Motorrad😠), man geht ein paar Schritte zu Fuß und findet sich dann sogleich in einer Traube Touristen wieder, die alle dasselbe Foto machen und wieder gehen. Mit diesen Eindrücken konfrontiert, meinte Mario nur ganz trocken „Guck mal, da links bei dem dicken Felsen ist noch Platz für den größten Präsidenten aller Zeiten.“ Mit Gelächter zogen wir wieder von dannen und ließen den Tag in unserem Hotel in Rapid City ausklingen. 





People Are People

Nach unserer unfreiwilligen Auszeit in Bozeman hatten wir die Hoffnung, Yellowstone noch einmal besuchen zu können, bereits aufgegeben. Gestern, am Freitag vor dem Memorial Day, konnte es zwar endlich weitergehen. Die für diesen Tag angekündigte Öffnung des Beartooth-Highways, der nordöstlichen, wunderschön kurvigen Zufahrtsstraße des Parks, war wegen des Wintereinbruchs  allerdings auf unbestimmte Zeit verschoben worden. Auch die Bandansage der Park-Hotline verhieß nichts Gutes, weitere Straßen des Parks waren demnach unpassierbar und gesperrt. 

Notgedrungen bastelten wir uns ein Route um den Park herum, verließen nach dem Frühstück bei noch immer eisigen Temperaturen unser Hotel und stellten uns auf eine langweilige, ermüdende Interstate-Etappe ein. Wir waren gerade ein paar Minuten unterwegs, als ich ein Hinweisschild entdeckte, das auf eine Yellowstone Tourist Information bei der nächsten, wenige Meter entfernten Ausfahrt verwies. Ich funkte Matti an und wir verließen kurzerhand wieder den Freeway. Es stellte sich jedoch heraus, dass das Hinweisschild auf die (einzige) Touristeninformation im Park selbst verwies. Dafür entdeckten wir ein Gebäude des National Forest Service, in dem eine sehr freundliche Beamtin zwar auch keine genaueren Informationen hatte, uns aber ermutigte, es doch einfach mal zu probieren. Alla hopp, zur Not fahren wir die 60 Meilen halt wieder zurück. Eine gute Entscheidung, wie sich herausstellte: der Park war geöffnet, die Straßen geräumt, es gab nur wenig Regen und die Temperaturen betrugen anfangs zwölf, am Ende vier Grad. Nicht unbedingt Idealbedingungen, aber das Fahrerlebnis war dafür herausragend. Wir befuhren den Park über den North Entrance, folgten der Grand Loop Road vorbei an dampfenden Geysiren, heißen, bunten Quellen, schneebedeckten Hängen, dem teilweise noch zugefroren Yellowstone Lake und verließen den Park mit Blick auf den Sleeping Giant über die Serpentinen im Osten, folgten dem Buffalo Bill State Park und dem gleichnamigen Stausee bis zu unserem Tagesziel, der 1,5 Tausend Einwohner zählenden Kleinstadt Greybull. 

Wir bezogen unsere Zimmer im 1916 erbauten „Historic Hotel“, wo wir auch unser Abendessen, u.a. bestehend aus frittierten „Sauerkraut balls“ (die nicht nur den Durst, sondern auch die Verdauung ordentlich anregten) einnahmen. Anschließend folgten wir den Klängen von irgendwo im Ort erklingender Live-Musik und mischten uns wenig später unter die Einheimischen im Silver Spur Saloon. Von den einen wurden wir argwöhnisch beäugt, mit anderen kamen wir nach kurzer Zeit ins Gespräch; einem ehemaligen Fluglotsen und Kriegsveteran, der mit steigendem Alkoholkonsum leider zunehmend aggressiv wurde, dem örtlichen Lehrer, dem hiesigen Zimmermann, dem in ganz Amerika wegen seiner landesweit verkauften „Smuckers“-Marmelade bekannten Farmer („Proove it, show them your ID“) und anderen, ähnlich bierseligen Gesellen wie uns. Leider eskalierte später die Situation mit dem Veteranen; ich versuchte noch zu schlichten, konnte eine kleinere Handgreiflichkeit aber nicht verhindern. Es war dann auch Zeit zu gehen.

Für die nächsten beiden Tage hatten wir nochmal eine richtige Motorradstrecke geplant, die letzte vor den Great Plains, dem weiten Flachland, in dem es dann immer nur noch geradeaus geht. 

Heute, am ersten der beiden Tage kurvten wir durch den Big Horn National Forest. Es ging hinauf auf über 9000 Fuß; höher waren wir in all den Jahren in Nordamerika noch nicht gewesen. Es war eiskalt, beidseits der Straße lag noch tief Schnee. Wir waren fast allein unterwegs, und es war magisch, mit Worten fast nicht zu beschreiben. Im Zielort Sundance gab es keinen Liquor Store, Matti musste das Ankommbier im Pub, der „Turf Bar“, besorgen. Und versprechen, dass wir auf einen Schwatz mit den Einheimischen zurückkehren. Was wir natürlich taten. Und uns nach anfänglichem, unverfänglichem Small Talk mit Fragen nach unserer Sicht auf voter fraud, deep state oder den politisch motivierten Strafprozess gegen den besten Präsidenten aller Zeiten konfrontiert sahen.

Auch wenn die Bekanntschaften, die wir unterwegs machen, immer oberflächlich bleiben, bekamen wir erneut einen lebhaften Eindruck davon, wie gespalten dieses Land wirklich ist. Und wie die Anhänger des einen Lagers für die des jeweils anderen nichts als abgrundtiefe Verachtung empfinden. 

Wir versuchen generell, in den Konversationen das Oberflächliche nicht zu verlassen und das Abdriften ins Politische zu vermeiden. Wir möchten uns nicht in innenpolitische Diskussionen verstricken lassen, weil uns als Besucher dieses Landes ein Urteil einfach nicht zusteht. Und so stehen wir oft da und schauen betreten drein. Und empfinden die Menschen trotzdem als umgänglich und gar sympathisch.







Donnerstag, 23. Mai 2024

Winter Wonderland ☃️

Heute Morgen trauten wir unseren Augen nicht, als sich uns beim Öffnen der Vorhänge dieser Ausblick bot:





Als wir ungläubig unsere Motorräder vor dem Schnee fotografierten, kommentierte das ein daneben stehender Amerikaner ganz unempathisch mit den Worten „Wow, you guys are screwed!”. Was frei übersetzt bedeutet „Ihr seid ja sowas von im A….“






Es schneit nun schon den ganzen Vormittag ohne Unterlass. Unsere Pläne, morgen durch den Yellowstone Park zu fahren, stehen somit etwas in Frage. Vorsichtig ausgedrückt. 


Kling Glöckchen, klingelingeling!

Öffnet mir die Türen, lasst mich nicht erfrieren!

Die Aussichten für die nächsten beiden Tage waren nicht sehr ermutigend. Google Maps warnt aktuell vor unpassierbaren Straßen, die 24 Stunden in Endlosschleife laufenden Wettersender überschlagen sich mit Breaking News über bevorstehende Winterstürme, Überschwemmungen und Tornados. 

Glücklicherweise sind die Voraussagen aber so konkret, dass wir es wagen konnten, heute noch ein paar Kilometer abzuspulen. 

Nach den 330 km von Missoula nach Bozeman bei Temperaturen um die 10 Grad, häufig deutlich darunter, und immer wieder Regen konnten wir glücklicherweise direkt unser Zimmer beziehen und uns bei auf Vollgas laufender Heizung unter die Bettdecke verkriechen. 

Das Hotel haben wir gleich für zwei Nächte gebucht, den Wintereinbruch sitzen wir aus. Wir hoffen, dass Yellowstone passierbar bzw. die ursprünglich für übermorgen avisierte Öffnung der nordöstlichen Parkstraße weiterhin bestehen bleibt. 

Mittlerweile sind wir wieder soweit aufgetaut, um uns auf Brauereitour zu begeben. Und Brauereien gibt es in Bozeman immerhin neun. 🍻











Kurvig, so haben wir’s gern :-)

Auf einem Motorrad kommt man von A nach B. Wenn man das Fahren als Hobby betreibt, oftmals sogar nur von A nach A! Wie sich das Fortkommen zwischen den beiden Buchstaben gestaltet, mag für Außenstehende von übertriebener Wichtigkeit erscheinen, für den Motorradfahrer aber ist der Streckenverlauf meist das alles Entscheidende. Es geht eben nicht um eine reine Transportleistung, handelt es sich doch um eine hochemotionale Angelegenheit. Mein Grinsen im Gesicht, wenn ich Kurven durch schöne Landschaften absurfe, habe ich zwar noch nie gesehen, aber es sind wahre Hochgefühle, die ich dabei habe. Eine Art von Flow.


Genau so ging es mir in den letzten Tagen. Die Rocky Mountains haben im Übermaß alle Zutaten, die es dafür braucht. Seen, von schneebedeckten Bergen eingefasst und Kurven ohne Ende. Ein Traum! Deswegen waren wir auch überhaupt nicht darauf bedacht, so schnell wie möglich unserem Endziel der diesjährigen Etappe näherzukommen. Die Streckenwahl sollte vielmehr geeignet sein, unsere Motorradfahrspaßakkus möglichst weit aufzuladen. In der Mitte des nordamerikanischen Kontinents lauert nämlich eine berg- und kurvenarme Durststrecke, die wie ein Damoklesschwert über uns schwebt. Ich habe mich in den letzten Tagen des Öfteren selbst dabei ertappt, wie ich gedanklich die Routenplanung immer weiter Richtung Süden ausgedehnt habe, nur um nicht schon diese Ebene durchqueren zu müssen. Wie eine seltsame Form von Prokrastination. Deswegen steht nun (mal wieder) der Yellowstone Park auf dem Programm, obwohl er gar nicht wirklich auf der Route liegt (lag). Wir freuen uns darauf!